Wie sinnvoll ist Kalorienzählen wirklich?
In den letzten beiden Teilen (Teil 1 und Teil 2) dieser Beitragsreihe haben wir gelernt, wie eine Nährwerttabelle aufgebaut ist, was die Unterschiede zwischen Big 4, Big 7 und Big 8 sind und wie der Fettgehalt eines Lebensmittels im Labor bestimmt wird.
Dabei wird das Fett sorgfältig aus dem Lebensmittel isoliert und anschließend gewogen. Der Wert, der anschließend in der Nährwerttabelle auftaucht, wird also durch eine direkte Analysenmethode bestimmt. Die angewandte Analysenmethode ist im Analysebericht angegeben (s. Abbildung 1).
Es gibt aber auch Werte, für die keine spezielle Analyse möglich ist: diese Werte werden berechnet. Dabei handelt es sich um die verwertbaren Kohlenhydrate im Allgemeinen, Natriumchlorid und den Brennwert – also die Kalorien.
In diesem Beitrag wollen wir uns die Kalorien einmal genauer anschauen.
Der Begriff „Brennwert“ ist eigentlich nicht ganz richtig und führt häufig zu Verwirrung.
Streng unterscheiden muss man nämlich zwischen dem thermodynamischen und dem physiologischen Brennwert.
Der thermodynamische Brennwert ist allgemein der Energieinhalt eines Stoffes (unabhängig ob Nahrungsmittel oder nicht), der bei dessen vollständigen Verbrennung frei wird. Diese Energie kann mit einem Bombenkalorimeter gemessen werden, hat jedoch wenig Aussagekraft für die Energie, die der menschliche Organismus daraus gewinnen kann. Ein Kohlebrikett hat z.B. einen sehr hohen Brennwert – trotzdem können Menschen daraus keine Energie gewinnen, wenn sie sich ein Kohlebrikett zum Abendessen genehmigen würden.
Schon sehr früh hat sich daher die Forschung damit beschäftigt, den physiologischen Brennwert der verwertbaren Makronährstoffe (Kohlenhydrate, Eiweiß und Fett) zu bestimmen.
Bereits im 19. Jahrhundert (um 1875) untersuchten Forscher die energetische Verwertbarkeit dieser Makronährstoffe bei Menschen und Tieren. Dies resultierte 1899 in einer wissenschaftlichen Schrift von Wilbur Olin Atwater (1844 – 1907), in dem berichtet wurde, dass Kohlenhydrate und Eiweiß im menschlichen Körper in ca. 4 kcal pro Gramm umgewandelt werden und Fett in ca. 9 kcal pro Gramm. Diese Berechnung berücksichtigt, dass die Nahrung bei der Umwandlung in Energie nicht zu 100 % umgesetzt wird – ein Teil wird z.B. als Exkremente ausgeschieden. Des Weiteren wurden verschiedene Korrekturfaktoren angewandt, die auf konkreten Versuchen am Menschen basierten.[1]
Insoweit unterscheidet sich der physiologische Brennwert schon einmal allgemein von dem thermodynamischen Brennwert dadurch, dass der physiologische Brennwert weitaus geringer ausfällt.
Jeder selbsternannte “Experte”, der großspurig behauptet, Kalorien von Nahrungsmitteln hätten keinen Bezug zur Realität, da sie in einem Bombenkalorimeter bestimmt werden, hat also eindeutig schlecht recherchiert (oder von jemandem abgeschrieben, der das ebenfalls getan hat), denn das ist NICHT DER FALL. Die ursprünglich mit einem Bombenkalorimeter bestimmten Werte wurden bereits auf die menschliche Physiologie umgerechnet und das Ergebnis davon ist Basis der heutigen Brennwertbestimmung von Lebensmitteln.
Die Genauigkeit und Aussagekraft des Brennwerts bei Nahrungsmitteln ist oft Gegenstand von Kritik.
Betrachtet man einmal den Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung von Atwater [1] Ende des 19. Jahrhunderts, könnte man durchaus davon ausgehen, dass diese Werte veraltet sind.
Aber weit gefehlt: fast 100 Jahre später nahm sich ein britisches Forscherteam (Southgate & Durnin 1970) der Herausforderung an, alle Werte erneut zu überprüfen und kam zu fast identischen Werten. Die einzige neue Entdeckung war die Differenzierung von verwertbaren gegenüber nicht-verwertbaren Kohlenhydraten (Ballaststoffe). Man fand, dass das Exkrementevolumen bei einer höheren Ballaststoffeinnahme deutlich zunahm (d.h. es wurde weniger verwertet) und bewertete den Wert von Atwater von 4 kcal pro Gramm als zu hoch für einige Kohlenhydrate. [2]
Spätere Forschungen ergaben dann noch genauere Ergebnisse und man berechnete daraufhin einen physiologischen Brennwert von Ballaststoffen von 2 kcal / gramm. [3]
Das Resultat von über einem Jahrhundert intensiver Forschung sind also die folgenden Werte in Tabelle 1:
Tabelle 1: Physiologischer Brennwert der Makronährstoffe
Makronährstoff | Physiologischer Brennwert in kcal / gramm
|
Fett | 9 |
Eiweiß | 4 |
Kohlenhydrate (verwertbar) | 4 |
Ballaststoffe | 2 |
Diese Werte werden bis heute zur Berechnung des Brennwerts von Nahrungsmitteln herangezogen. Die durch Analysen bestimmte Menge an Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate und Ballaststoffe wird mit den Werten aus der Tabelle multipliziert und ergibt in Summe den Gesamtbrennwert, der schlussendlich an der Spitze der Nährwerttabelle landet.
Durch die Differenzierung von Ballaststoffen von den Kohlenhydraten ergibt sich allerdings eine unterschiedliche Genauigkeit zwischen den verschiedenen Nährwerttabellen. In Tabelle 2 haben wir einmal den Brennwert für unser Brot anhand der Analysenwerte für die Makronährstoffe berechnet. Bei der Big 7 werden Ballaststoffe nicht berücksichtigt (sie werden zu den Kohlenhydraten addiert) und folglich unterscheiden sich die Werte deutlich von dem Ergebnis bei der Big 8. Den genaueren Wert wirst du also immer bei einer Big 8 finden.
Tabelle 2: Berechnung des Brennwerts in kcal von Dr. Almond Bauerntoast (Vergleich Big 7 und Big 8)
Big 7 | Big 8 | |
Eiweiss (4 kcal pro gramm) | 9,4 x 4 = 37,6 | 9,4 x 4 = 37,6 |
Kohlenhydrate (4 kcal pro gramm) | 21,3 x 4 = 85,2 | 0,1 x 4 = 0,4 |
Fett (9 kcal pro gramm) | 1,5 x 9 = 13,5 | 1,5 x 9 = 13,5 |
Ballaststoffe (2 kcal pro gramm) | – | 21,2 x 2 = 42,4 |
Kcal pro 100 g | 136,3 | 93,9 |
Wie genau sind die Kalorienangaben denn nun überhaupt?
Diese Frage wird immer wieder gestellt und ist auch durchaus berechtigt.
Analysenmethoden haben immer eine gewisse Ungenauigkeit und darüber hinaus funktioniert nicht jeder Stoffwechsel gleich.
Allzu schlecht reden sollte man diese Werte allerdings auch nicht!
Immerhin beschäftigt sich die Forschung schon sehr lange mit der Optimierung der Analysenmethoden, so dass man bei der Analyse der Absolutwerte für die Makronährstoffe von einem vergleichsweise geringen Fehler ausgehen kann. In der Nährwertkennzeichnung werden Toleranzen von +/- 15 % für die Makronährstoffe hingenommen, was auf den ersten Blick viel erscheinen mag.
Schaut man sich dies allerdings mal genau für einen Wert am Beispiel von unserem Dr. Almond Bauerntoast (Abbildung 1) an, mit einem Eiweißgehalt von 9,4 g pro 100 g), wären 15 % mehr ein Wert von 10,8 g und 15 % weniger ein Wert von 8,0 g – also eine Differenz von ca. 1,5 g plus oder minus. Bei dem Wert für Kohlenhydrate und Fett bewegen wir uns aber bei dieser Abweichung sogar im Milligramm-Bereich – in unserem Beispiel wäre das eine Differenz von 0,2 g beim Fett und 0,02 g bei den Kohlenhydraten!
Dass dieses Lebensmittel eiweißreich und sehr kohlenhydratarm ist, wird durch diese Abweichung keinesfalls in Frage gestellt. Außerdem darf man nicht vergessen, dass es Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten gibt – für jeden einzelnen Nährstoff. Wie wir eben gelernt haben, wird der Brennwert von Nahrungsmitteln aus den einzelnen Werten der Makronährstoffe errechnet und nicht etwa durch eine einzelne Messung im Bombenkalorimeter. Dass die Abweichung bei allen Makronährstoffen in die gleiche Richtung geht (z.B. in Richtung „zu viel“), ist höchst unwahrscheinlich. Eine Abweichung von zwei Gramm zu viel beim Eiweiß und ein Gramm zu wenig beim Fett ergibt in Summe immer noch einen ziemlich genauen Brennwert für das ganze Nahrungsmittel. Die Abweichungen gleichen sich also teilweise aus.
Anhand von Nährwerttabellen lässt sich also die Energie- und Makronährstoffaufnahme eines Menschen gut berechnen. Eine Berechnung mit Nachkommastelle ist allerdings ziemlich sinnlos, vielmehr geht es hier darum, den Überblick nicht zu verlieren.
Problematisch wird es erst, wenn man die Werte der Nährstoffaufnahme mit konkreten Werten für den Energiebedarf bzw. Energieverbrauch eines Menschen allgemeingültig korrelieren möchte.
Für den Grundumsatz bzw. Leistungsumsatz (Gesamtumsatz) von Menschen in Abhängigkeit von Größe, Alter, Gewicht, Muskelmasse und Bewegung gibt es Kalorienrechner. Die dort hinterlegte Formel wurde anhand von großen Datenmengen aus der Bevölkerung ermittelt.
Allerdings sind die Ergebnisse solcher Rechner lediglich Richtwerte, dessen Korrelation mit dem eigenen Energiebedarf von jedem individuell herausgefunden werden muss. Wer den Wunsch hat, Gewicht zu verlieren und feststellt, dass sich mit täglich 2500 kcal über mehrere Wochen auf der Waage nichts tut oder man sogar zunimmt, sollte es einmal mit nur 2000 kcal probieren. Wenn das nicht hilft, versucht man es mit 1800 kcal oder 1500 kcal. Sobald man eine stetige Gewichtsabnahme von ca. 300-500 g pro Woche verzeichnen kann, ist man in einem guten Bereich angekommen.
Ist Kalorienzählen wirklich sinnlos?
Absolut nicht!!
Aber: bei einer artgerechten Ernährung mit ausreichend Eiweiß und Ballaststoffen, gesunden Fetten und einer für den eigenen Stoffwechsel optimalen (bei Übergewicht meist niedrigen bis moderaten) Menge an Kohlenhydraten kann man durchaus das Glück haben, dass man sich das Kalorienzählen sparen kann. Im Idealfall sollte das natürliche Sättigungsgefühl dafür sorgen, dass man seinen Energiebedarf nicht überschreitet und bei starkem Übergewicht sogar ohne zu Hungern unbewusst ein Kaloriendefizit einhalten kann. Dabei wird das Kaloriendefizit aus den schwindenden Fettpolstern gedeckt und man fühlt sich rundum zufrieden.
Leider funktioniert das aber nicht bei jedem!
Jahrelanges Übergewicht und eine übermäßig kohlenhydratreiche Ernährung mit “leeren Kalorien” können dazu führen, dass das natürliche Sättigungsgefühl „defekt“ ist. Hier kann ein Überblick über die zugeführten Makronährstoffe und JA, AUCH DER KALORIEN! das einzige Mittel zum Erfolg sein.
Bei Menschen mit nur wenigen Kilogramm Übergewicht, die nahe an Ihrem Idealgewicht sind, ist außerdem die Differenz zwischen dem eigentlichen Energiebedarf für eine isokalorische Ernährung (d.h. einer Ernährung, bei der man weder ab- noch zunimmt) und dem für die Gewichtsabnahme benötigten Kaloriendefizit in einem Bereich, in dem man alleine mit dem natürlichen Sättigungsgefühl nicht mehr viel erreichen kann. Auch hier kann es Sinn machen, sich einen Überblick über die zugeführten Makronährstoffe und die Gesamtkalorienzufuhr zu machen.
Am einfachsten geht Kalorien- und Makronährstofftracking mittlerweile mit Smartphone Apps wie Fatsecret oder Lifesum, bei denen die meisten Lebensmittel schon in umfangreichen Datenbanken gespeichert sind und man lediglich die verzehrte Menge eintragen muss. Auf diese Weise kann man relativ bequem einen Überblick behalten und wenn nötig einige Anpassungen an der Ernährung durchführen.
Und nochmal: Dass es bei den Nährwertangaben Abweichungen gibt, ist zwar nicht optimal, sollte einen aber auch nicht dazu verleiten, das gesamte Konzept über den Haufen zu schmeißen!
Auch wenn die Daten nicht 100 % exakt sind, kann man mit diesen Daten rechnen, seine Ernährung entsprechend anpassen und eventuelle Differenzen individuell korrigieren.
In Ermangelung von absoluter Perfektion auf Kalorienzählen zu verzichten und sich stattdessen darüber zu ärgern, dass man trotz strikter kohlenhydratreduzierter Ernährung nicht abnimmt, ist nämlich auch keine Lösung.
Ist eine Kalorie eine Kalorie?
Immer wieder heißt es, „eine Kalorie ist nicht eine Kalorie“. Nun ja – die Kalorie ist eine physikalische Einheit und selbstverständlich ist eine Kalorie eine Kalorie. Soviel vorweg. Was mit dieser Sinnfrage gemeint ist, ist vielmehr die Wirkung, die ein einzelner energieliefernder Makronährstoff auf den Körper hat. Sowohl Eiweiß als auch Kohlenhydrate liefern pro Gramm ca. 4 kcal. Allerdings liefern Eiweiß und Kohlenhydrate außer dem Energieinhalt (der ja offensichtlich identisch ist) noch etwas anderes: nämlich ein Signal an den Körper. Bei Kohlenhydraten wird jede Menge Insulin ausgeschüttet, während bei Eiweißzufuhr verschiedene Reparatur- und Aufbauprozesse im Körper gestartet werden. Man kann also durchaus sagen, dass die Kalorien von unterschiedlichen Makronährstoffen eine unterschiedliche Wirkung im Körper haben.
Aus diesem Grund ist es unerlässlich, neben den Gesamtkalorien außerdem das Verhältnis der Makronährstoffe Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate im Auge zu behalten.
Wir haben jetzt die Grundlagen der Lebensmittelanalytik und die Analyse von Fetten und dem Brennwert (Kalorien) kennengelernt.
Der Makronährstoff, der bei einer low-carb und ketogenen Ernährung unter besonderer Beobachtung steht, sind die Kohlenhydrate.
Wie wird der Kohlenhydratgehalt von Lebensmitteln bestimmt, welche Unterschiede gibt es zwischen unterschiedlichen Kohlenydratarten und welche Rolle spielen Ballaststoffe?
Das erfahrt ihr im nächsten Teil dieser Beitragsreihe.
[1] Nichols, B.L., The Journal of Nutrition 1994, Vol. 124, no. 9, 1718S – 1727S
[2] Southgate, D.A.T, Durnin, J.A.G.A, Britisch Journal of Nutrition, 1970, 24, 517
[3] Kritchevsky, D., Bonfield, C.T., Anderson, J., Dietary Fiber: Chemistry, Physiology, and Health Effects, Plenum Press 1990, New York
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